Seit einem Jahr gemeinsam in einem Boot

Rückblick: Aus ihren Gesichter sprach Anspannung, Unsicherheit und Ungewissheit. Einige standen apathisch da im blaugelben Trainingsanzug. Oft die einzige Bekleidung, die sie mitgebracht hatten; die, die sie am Körper trugen. Andere tippelten von einem Fuß auf den anderen, tippten nervös auf ihren Handys. Sie blickten scheu auf, als sie angesprochen wurden. Nur wenige sprachen. Nur hier und da ein vorsichtiges „Hello!“.
Heute genau vor einem Jahr, am 15. März 2022, begrüßten Mitglieder von DRC und HRC die ukrainische U19-Nationalmannschaft bei deren Ankunft an der Jugendherberge in Hannover. Für uns die erste direkte Begegnung mit Menschen, die vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine drei Wochen zuvor geflohen waren. Viele der Ankömmlinge hatten eine Odyssee durch ihr Heimatland und durch Polen hinter sich. Einige – so berichteten sie später – hatten zu Kriegsbeginn den Tod von Angehörigen und Freunden miterleben müssen.
Damit war dieser Krieg auch in unseren Bootshäusern angekommen. In der Gestalt von zunächst zwei Dutzend jungen Sportler*innen und deren Trainer*innen. Sie kamen aus Kiew, Charkiv und Mykolajiw. Vier Riemen hatten sie mitgebracht auf dem Dach ihres VW-Transporters. Und damals noch die Hoffnung, nach einer kurzen sportlichen Vorbereitung auf die Junioren-EM im Mai 2022 in Italien wieder zurückzukehren in ihre Heimat. Unser Mitglied Anton war die sprachliche Brücke zu den Ankömmlingen. Die Gesichter der Ukrainer hellten sich erkennbar auf, als Anton sie auf ukrainisch ansprach, sie in Hannover willkommen hieß und ihnen sagte, dass sie schon tags darauf rudern gehen können.

Gemeinsam sind wir stark, lautete unser Entschluss: Deutscher Ruderverband, Landesruderverband und die hannoverschen Rudervereine taten sich zusammen und unterstützten das ukrainische Team. Boote wurden beschafft, weitere Boote sowie Mobos und Trainingsstätten bereitgestellt. Eine Spendenflut von den Mitgliedern und von Sponsoren ermöglichte es uns, die Geflüchteten mit Kleidung und Sportausrüstung zu versorgen. Weitere Sportler*innen kamen dazu, Eltern und Angehörige kamen nach. Erste sportliche Erfolge stellten sich bei der Münchner Juniorenregatta Anfang Mai ein. Das gemeinsame Rudertraining auf Ihme, Leine und Maschsee lenkte ab von den schrecklichen Nachrichten aus der Heimat, strukturierte den Tag, half Fuß zu fassen in einem fremden Land, dessen Sprache fast alle nicht beherrschten. Dankbar nahm das Team an Wettkämpfen und Regatten teil. Höflich und bescheiden traten die Sportler*innen in den Bootshäusern auf. Stolz und erfolgreich repräsentierten sie die Farben ihrer Ukraine bei den Titelkämpfen.

Heute, ein Jahr später, sitzen unsere ukrainischen Gäste mit uns in einem Boot. Am kommenden Wochenende rudern sieben in unseren Clubeinteilern mit bei der Langstreckenregatta in Budapest. Zwei Top-Talente sind mitgereist in unser gemeinsames Trainingslager nach Bellecin in Frankreich. Viele der jungen Menschen sind herausgewachsen aus der Junioren-Altersklasse, sind jetzt Frauen und Männer. Acht von ihnen sind inzwischen DRC-Mitglieder geworden. Sie helfen mit bei Arbeitsdiensten im DRC-Bootshaus, kümmern sich mit um Bootsreparaturen und waren dabei beim Mondschein- und beim Nikolausrudern. Freundschaften sind entstanden. Vertrauen ist gewachsen. Und auch die Sprachbarriere fällt zusehends: Viele der Ukrainer*innen sprechen inzwischen gut deutsch, verstehen können viele nahezu alles. Unsere Clubfamilie ist größer geworden und um eine Erfahrung reicher. Was uns alle eint, ist der Wunsch nach Frieden in der Ukraine und dass alle, die möchten, in ihre Heimat zurückkehren können.

Der DRC-Vorstand dankt allen Mitgliedern und Freund*innen des DRC für die zahlreichen Sach- und Geldspenden in den vergangenen 12 Monaten zugunsten der ukrainischen Sportler*innen.

Fotos: 2. v.o. D. Seyb, 3. v.o. F. Petrow. 

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