Zum „rudersport“-Artikel „Achtung! Gender*Lücke?“

Bereits im April 2020 beschäftigte sich die offizielle DRV-Verbandszeitung „rudersport“ mit der Genderfrage im deutschen Rudersport. Das Magazin widmete dem Thema sogar einen Leitartikel (Quelle: „rudersport“ 4/2020, S. 3, S. 6-13), den wir für euch hier noch mal als link zur Verfügung stellen. Da eine Gruppe von hannoverschen Ruderinnen das komplexe Thema als nur unzureichend aufbereitet empfand, entschlossen sich die Frauen einen Leserbrief an die „rudersport“-Redaktion zu verfassen und zu versenden. Leider wurde der Leserbrief aufgrund zu großen zeitlichen Abstands nicht mehr in der „rudersport“ veröffentlicht. Da viel Zeit und Mühe in diesen Artikel geflossen ist und da die Argumente unbedingt lesenswert sind, wollen wir euch diesen Text zumindest hier auf unserer Homepage zur Verfügung stellen.

Kommentar zum Beitrag „Achtung! Gender*Lücke“ u.a. in rudersport 4/20

Liebes Redaktionsteam,

wir sind eine Gruppe von Ruderinnen, die beim Durchblättern des rudersports 4/2020 spätestens an zwei Bildunterschriften „hängen geblieben“ sind und uns nach dem Lesen und längerem, gemeinsamen Diskutieren des zugehörigen Artikels, des Interviews und auch der Leser*innenumfrage entschlossen haben, Stellung zum Thema zu beziehen.

Ein Artikel, der versucht Frauen als „…wichtige Mitgestalterinnen der Ruderzukunft…“ (RS 4/2020, S. 9) zu positionieren und vorgibt zumindest Chancengleichheit anzustreben, aber zugleich in der Wortwahl („Männlein und Weiblein”) und in den Bildunterschriften auf veraltete Rollenbilder zurückgreift, wirkt an dieser Stelle auf eine ironische Weise unglaubwürdig. So vermittelt ein Bild mit dem Titel „Vielfalt: Beim Wanderrudern sitzen die Geschlechter meist friedlich gemeinsam im Boot“ uns den Eindruck, dass dies außerhalb des Wanderruderns (und offenbar dort ja auch häufig) unüblich ist, Frauen und Männer also in der Regel nicht friedlich im Boot interagieren. Und spätestens bei der Bildunterschrift zu einem Frauenvierer des DHuGRC mit dem Wortlaut „’Germanninnen’: Seit vier Jahren geben auch Frauen im altehrwürdigen Hamburger und Germania Ruder Club (DHuGRC) eine gute Figur ab.“, fragen wir uns, ob die Frauen aufgrund ihres sportlichen Engagements oder ihrer „guten Figur“ den Sprung in den Artikel schafften.

Auch die Umfrage hat bei uns für Verwirrung gesorgt. Wir bezweifeln, dass die Umfrage so repräsentativ ist, wie sie in dem Artikel dargestellt wird. Die Legitimierung von Ergebnissen durch eine vermeintliche Repräsentativität ohne Einhaltung oder Darlegung von wissenschaftlichen Standards erscheint äußerst fragwürdig. Zudem glauben wir nicht, dass die Leser*innenschaft des Verbandsmagazins einen tatsächlichen Querschnitt über die Mitglieder des Verbandes abbildet. Eine Leser*innenumfrage, wie die bereits erfolgte,  kann daher nur ein oberflächliches Stimmungsbild abgeben und keine eindeutigen, verwertbaren Antworten auf die wichtigen gestellten Fragen liefern.

Das emotional aufgeladene Thema zur Gleichberechtigung der Geschlechter hat sicherlich einen gebührenden Platz im einzigen Verbandsmagazin des Ruderns verdient. Der Umgang mit dem Thema hat uns allerdings irritiert zurückgelassen. Wir haben in unserem bisherigen Ruderleben in unterschiedlichsten Vereinen als Mitglieder den Rudersport (er-)leben dürfen, ebenso vielfältig sind auch unsere Erfahrungen mit gelebter Gleichstellung in diesen Vereinen. Allerdings sind wir uns einig, dass die Gleichstellung im Rudersport – und auch in seinem Verbandsmagazin – noch in weiter Ferne ist.

Zudem sind wir uns bewusst, dass sicherlich einige Leser*innen an dieser Stelle unseren Beitrag beiseite legen und uns als „plärrende Emanzen“ abtun – und genau hier liegt ein grundlegendes Problem. Eine aufrichtige Diskussion um etwaige aktuelle Missstände wird oft im Keim erstickt. Zum einen, weil die Bereitschaft fehlt, sich konstruktiv zum Thema auszutauschen. Zum anderen, weil Aktionismus bei sprachlichen Regelungen oder Frauenquoten vorgaukelt, dass bereits eine Auseinandersetzung stattfindet. Schlimmstenfalls werden diese Punkte als Rechtfertigung genutzt, es sei doch nun genug getan. Im Gespräch unter befreundeten Ruderinnen wurde eine Frauenquote sogar besonders kritisch gesehen: Eine Frau, die sich innerhalb einer Quotenregelung auf einen Vorstandposten einlässt, laufe Gefahr, sich fehlende Qualifikation vorwerfen lassen zu müssen – ganz unabhängig von der tatsächlichen Eignung. Gleichstellung bedeutet eben nicht, Frauen zu bevorzugen, sondern sie zu unterstützen, um auf Augenhöhe agieren zu können. Es geht nicht darum, Männern Privilegien „wegzunehmen“, sondern um eine gleichberechtigte Teilhabe – es geht nicht um einen Kuchen, der neu aufgeteilt werden muss, wenn mehr Frauen sich engagieren und partizipieren.

Sport im Allgemeinen und auch der Rudersport haben sicherlich in der gesellschaftlichen Gleichstellungsdebatte eine Sonderrolle. Physische Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern lassen sich nicht wegdiskutieren. Gerade deshalb sollten die Interessen, Bedürfnisse und vor allem die Anerkennung für sportliche Leistung in gleichberechtigtem Maße berücksichtigt werden. Ein erster Schritt wäre unserer Meinung nach sportliche Erfolge unabhängig von körperlichen Eigenschaften wie Geschlecht, Größe, Gewicht und Handicap wertzuschätzen, ebenso aber auch Engagement. Das hieße nicht nur festzustellen, dass Frauen in Vorstandspositionen oder als Trainerinnen vor allem im Leistungssportbereich noch immer eher die Ausnahme darstellen, sondern auch anzuerkennen, dass im Hintergrund bereits vielfach die Arbeit von Frauen getragen wird. Dazu gehören unserer Erfahrung nach nicht nur das als selbstverständlich erachtete Managen der Verpflegung und Zubereiten von Kuchen und Salaten bei Vereinsveranstaltungen, sondern auch das Organisieren von weniger prestigeträchtigen Bereichen wie den Kinder- und Breitensport.

Es hieße zu hinterfragen, warum angebotene offene Türen von Frauen, nach Meinung von Frau von Kodolitsch, eben nicht durchschritten werden. Warum sind Frauen in der spezifischen Mitgliedergruppe von 41 -60 Jahren wieder am stärksten repräsentiert? Wir können an dieser Stelle nur Vermutungen zu den Gründen anstellen: Die familiäre Sorgearbeit von Frauen und die Struktur der Jugendarbeit. Diese sind nicht nur spezifische Vereins- und Verbandsproblematiken, sondern stellen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar.

Wir wünschen uns daher, ehrliche Diskussionen führen zu können, ohne die zum Teil auch unbewusste Reproduktion von Geschlechterstereotypen, wie sie auch im hier adressierten rudersport-Artikel verwendet werden. Gerade das Verbandsmagazin sollte hier federführend vorangehen und sich hinterfragen, ob ein Interview mit rosafarbenen Titeln einer engagierten Ruderin gerecht wird oder ob eine Einfärbung von Leser*innenkommentaren in hellblau und rosa nicht einer unbewussten Verstetigung von Geschlechterstereotypen Vorschub leistet.

Solange Sportlerinnen sich noch den Spruch gefallen lassen müssen, ob sie die Augenkrankheit mit zwölf Buchstaben kennen würden, haben wir nicht den Eindruck, dass viele der genannten Themen nüchtern und offen angesprochen werden können. Vielmehr ist es notwendig erst einmal den im Leserkommentar von Ansgar W. angesprochenen „wertschätzenden Umgang, getragen von Respekt, Empathie, Herz und Offenheit“zu lernen, um überhaupt einen nächsten Schritt in Angriff nehmen zu können.

Wir sind uns bewusst, dass es auch von unserer Seite noch mehr Potential gibt, öffentlich Position zur Gleichstellung der Geschlechter im Rudersport zu nehmen. Dieser Leserinnenbrief ist ein Anfang.

Wiebke Schütt (Deutscher RC), Navina Schilling (Deutscher RC), Linda Simon (Rgm. Angaria), Berit Krüger (Rgm. Angaria), Ronja Reiners (RV Schillerschule / Hannoverscher RC)

5 thoughts on “Zum „rudersport“-Artikel „Achtung! Gender*Lücke?“”

  1. Hallo zusammen, Kompliment zu diesem Schreiben. Ich lese zwar die „rudersport“ nicht, hätte aber tatsächlich nicht vermutet, dass man dort derart antiquiert denkt und schreibt. Da braucht es eine Positionierung wie die von Euch um so dringlicher! Und ein gemeinsames Verständnis für mehr Gerechtigkeit sowieso.

    1. Hallo Axel, vielen Dank! Wir freuen uns über jede*n, der/die uns unterstützt und hoffen, dass wir mit unserem Kommentar zumindest ein kleinen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen können 🙂

  2. Die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Männern ist im Rudersport trotz der bisherigen Aktivitäten nicht gelungen. Dazu reicht ein Blick in die aktuelle Zusammensetzung der Vorstände in Vereinen bis zum Spitzenverband oder auch den Funktionsbereichen. Diese bildet die Mitgliedschaft nicht mehr ab. Hier muss der Sport besser werden, will er seine gesellschaftliche Relevanz behalten. Dazu leistet der Beitrag aus meiner Sicht einen wichtigen Beitrag.
    Klarstellen möchte ich allerdings, dass der „rudersport“ eigenverantwortlich und eigenwirtschaftlich handelt und vom DRV nicht kontrolliert oder finanziert wird.

    1. Hallo Dag, vielen Dank für deinen Kommentar, deine Unterstützung und die Darstellung, dass das rudersport-Magazin eigenverantwortlich handelt. Uns ist bewusst, dass die Zeitschrift nicht vom DRV herausgegeben wird.
      Dennoch lässt die Bezeichnung als „offizielle Zeitschrift des Deutschen Ruderverbandes“, sowohl im Impressum des Magazins als auch auf der Homepage des DRV, einen grundsätzlich ähnlichen Wertekompass und Meinungstenor bei Verband und Zeitschrift vermuten. Ich finde es deshalb schwierig, wenn sich der Verband für Inhalte des Magazins und entsprechende Kritik nicht verantwortlich fühlt.
      Wir haben zwei Funktionär*innen des DRV bei unserer ersten Zuschrift an die rudersport-Redaktion in Kopie gesetzt und keinerlei Rückmeldung erhalten, was uns annehmen ließ, dass sowohl der rudersport-Beitrag zu dem Thema als auch unser kritischer Kommentar dazu für sie keine ausreichende Relevanz hatte, um darauf zu reagieren. Das finden wir sehr schade. Aus unserer Sicht, und du bestärkst uns ja darin, hat das Thema eine starke gesellschaftliche Bedeutung und der Deutsche Ruderverband hat das Thema bisher noch nicht weit genug oben auf die Agenda gesetzt. Es gibt erste erfreuliche Initiativen wie den DRV Vereinspreis zur Förderung von weiblichen Engagement in Rudervereinen, doch insgesamt wirkt die Behandlung des Themas durch den DRV (und eben auch durch das offizielle Verbandsmagazin) auf mich wie ein „man müsste mal“ und weniger wie ein „wir wollen jetzt“. Wir wollen die Entwicklung zu mehr Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit im DRV unterstützen und die Relevanz des Themas auch für die Mitglieder verdeutlichen, deshalb haben wir unseren Kommentar auf den rudersport-Beitrag verfasst und nun hier veröffentlicht. Wir freuen uns über jede*n, der/die wie du offen für das Thema ist und vielleicht sogar mit uns das Gespräch sucht, um dem Thema zukünftig im DRV, auf Verbands- wie Mitgliederebene, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
      Wiebke

  3. Hallo zusammen,

    ich dachte wirklich, dass wir im Rudern zwischen weiblichen und männlichen Ruder*innen auf gleicher Augenhöhe agieren. War in vielen Vereinen schon lange üblich, deshalb erschüttert es mich, solche altbackenen Positionen im Rudersport zu finden und muss die Stellungnahme klar unterstützen!

    Als ich 1970 aus einem „gemischten“ Verein nach einem Umzug zum Deutschen RC stieß war es für mich ein „Kulturschock“, plötzlich in einem reinen Männerverein gelandet zu sein. Ich bin ganz stolz darauf, dann 197? – war es 73 oder schon 72? – das erste weibliche Wesen im DRC ausgebildet und betreut zu haben.

    Es ist in dieser Gesellschaft wichtig, dass es eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern gibt. So wie Ihr es richtig beschrieben habt gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern genauso wie innerhalb der Geschlechter und es ist wichtig, dass jeder respektiert und geschätzt wird und seine Stärken einbringen kann.

    Ich freue mich, dass das weibliche Geschlecht selbstbewusst ist und fordere das männliche Geschlecht auf, alte, verkrustete Ideen und Gedanken über Bord zu werfen und mit dem anderen Geschlecht wie auch mit jedem des eigenen Geschlechts auf Augenhöhe umzugehen!

    Ich wünsche Euch viel Erfolg!
    Beste Grüße,
    Martin Pawlowsky-Hübener

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